Lebenslanges Lernen: vom Bildungsideal zur Notwendigkeit

Lebenslanges Lernen wurde erst in den 70er-Jahren zu einem bildungspolitischen Konzept. Was bedeutet lebenslanges Lernen vor dem Hintergrund moderner Arbeitswelten?

Das Konzept des lebenslangen Lernens ist nicht neu. Schon aus der Antike wissen wir von Philosophen wie Platon und Seneca (der Jüngere), dass sie lebenslanges Lernen als entscheidende Fähigkeit des Menschen ansahen, sich in einer verändernden Umwelt zu behaupten – angefangen bei den Jahreszeiten, dem Wetter und auch der eigenen Sterblichkeit.

In den Jahrhunderten danach haben in unserer Hemisphäre zumeist technische Innovationen Prozesse wie das Nachdenken über Lernen und Bildung in Gang gesetzt. Die industrielle Revolution war ein dafür beispielhafter Auslöser. Durch sie haben sich Gesellschaften auf allen Ebenen fundamental verändert. Dass gerade in ihrem Nachgang Bildungskonzepte wie von der Ärztin und Reformpädagogin Maria Montessori (1870-1952) oder dem Begründer der Anthroposophie, Rudolf Steiner (1861–1925) öffentlich dauerhaft wahrgenommen wurden, ist also kein Zufall. Allerdings gelten die entsprechenden Schulkonzepte Montessori und Waldorf bis heute noch vielerorts als mehr oder weniger kuriose Sonderformen. Dabei finden sich gerade bei Montessori wichtige Ansätze für lebenslanges Lernen im digitalen Zeitalter.

Hierzulande (und in Europa) hat es bis in die frühen 70er-Jahre gedauert, bis lebenslanges Lernen bzw. Erwachsenenbildung auch auf politischer Ebene definiert wurden. Hier legten der Bildungsgesamtplan (1970) und ein Strukturplan der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (1973) die Grundlagen fest.

Lebenslanges Lernen braucht gesellschaftliche Dynamik

Wer nach Gründen fragt, erhält nicht selten eine kurze Antwort im Sinne von: „Der Mensch lernt nie aus.“ Klingt trivial, ist es aber nicht. Vor allem aber ist das noch längst nicht auf breiter gesellschaftlicher Basis verinnerlicht. Ursache dafür sind unterschiedliche Dynamiken im Wandel von Technologie und Gesellschaft.

Die Industrialisierung etwa war zwar auch von Innovationen geprägt, allerdings nicht in allen Bereichen. Der Abbau von Steinkohle wurde zwar innerhalb weniger Jahre zu einem essenziellen Wirtschaftszweig mit weitreichenden politischen und gesellschaftlichen Folgen, hat sich aber selbst über viele Jahrzehnte technisch wenig verändert. Harte, besonders körperliche Arbeit – Schicht – enge Stollen – Staublunge etc. Wenn es Neuerungen gab, dann hingen die nicht selten „nur“ mit der Bedienung von Maschinen zusammen und nicht mit umfangreichen neuen Qualifikationen oder Skills. Ähnliches galt z. B. auch für die Arbeit am Fließband in der Automobilindustrie.

Damit zusammenhängend haben sich über Generationen hinweg auch kulturelle Eigenarten entwickelt. Die Zugehörigkeit etwa zum Untertagebau brachte über die Masse ein hohes Maß an Identifikationsmerkmalen mit sich. Der „Ruhrpott“ mit seinen vielen Besonderheiten sprachlicher und kultureller Art, die sich auch noch lange nach dem Schließen der Zechen behaupten, ist ein gutes Beispiel dafür. So war es in manchen industriell geprägten Gegenden auch bis in die 70er-80er Jahre hinein nicht unüblich, dass das erste Kind in der Familie, das keine Lehre, sondern Abitur und Studium anstrebt, deswegen zu Hause ein paar Kämpfe auszufechten hatte.

Gründe für lebenslanges Lernen

Im Wesentlichen lassen sich vier Bereiche definieren, in denen die Notwendigkeit für lebenslanges Lernen liegen.

  1. Die Fähigkeit des Menschen gegenüber dem Tier, bewusst, strukturiert und zielorientiert zu lernen, hat es ihm überhaupt erst ermöglicht, sich in der Evolution zu behaupten. Viele Tierarten sind sehr viel „spezialisierter“, verfügen beispielsweise über bestimmte, sehr ausgeprägte Sinneswahrnehmungen oder körperliche Fähigkeiten. Der Mensch musste vieles davon ausgleichen und entwickelte sich durch Lernen und die Fähigkeit zu abstrahieren zu einem Generalisten.
  2. Der Mensch musste bedingt durch besonders äußere Einflüsse lernen, sich möglichst schnell an neue Umgebungen und Lebensumstände anpassen.
  3. Die Anpassungsfähigkeit des Menschen und seine soziale Entwicklung veranlasste ihn dazu, die Umwelt seinen Bedürfnissen anzupassen. Dafür musste er jedoch komplexe Zusammenhänge zwischen Bedürfnissen und Ressourcen erkennen und ihre Folgen abschätzen. Individuelle Lernprozesse für das Überleben wurden immer mehr durch Wissen angereichert, dass der Gemeinschaft zuträglich war und eher indirekt den eigenen alltäglichen Bedürfnissen.
  4. Der vierte Bereich ist vergleichsweise neu. Der technologische Fortschritt hat ein Tempo erreicht, in dem sich nicht nur der einzelne Mensch, sondern auch ganze Gesellschaften Veränderungen gegenübersehen, die sich in hohem Maße unvorhersehbar entwickelt haben. Und hier kommt die Digitalisierung ins Spiel. Innerhalb weniger Jahre wurde Kommunikation nahezu unabhängig von Zeit und Raum. Die Möglichkeiten neuer Technologien schaffen Fakten, die von heute auf morgen globale Wirkungen entfalten und sich damit der Kontrolle durch den Menschen zu entziehen scheinen.

Das bedeutet, der Mensch muss in nie gekanntem Ausmaß und viel schneller als je zuvor hochkomplexe Sachlagen und Dynamiken begreifen, und sich ihnen anpassen – sprachlich, technisch, kulturell, persönlich.

Das Bedienen von Maschinen bzw. Computern ist dabei in seiner Bedeutung weit hinter das Verständnis der entsprechenden Technologie zurückgefallen. Maschinen werden immer nutzerfreundlicher. Brauchten wir zu Anfang z. B. im Umgang mit Computern noch Kenntnisse in Computersprache oder eine Mouse, um unsere Befehle an den Rechner zu übermitteln, arbeiten wir heute auf Tablets mit Symbolen und dem Finger. Oder wir sprechen einfach mit Siri. Kleinkinder finden sich in der Anwendung mit Rechnern zurecht, die bis in die 70er hinein noch nicht mal als Science Fiction denkbar waren.

Lebenslanges Lernen muss das Bildungssystem prägen

Unter anderem bei Montessori findet man Ideen einerseits zu der Erkenntnis, dass Lernen ganz allgemein wichtig ist für die persönliche Entwicklung als Mensch mit Selbstvertrauen und dem Antrieb, weiter lernen zu wollen. Andererseits kann einen die Art zu lernen, selbst zu planen, mit Fehlern umzugehen etc. auch auf das Leben in einer Gesellschaft vorbereiten. Je vernetzter wir als Gesellschaft werden, desto wichtiger wird dieser Aspekt.

Wenn wir auf die vier genannten Gründe für lebenslanges Lernen blicken und sie mit den Anforderungen für moderne Arbeitswelten verbinden, wird klar, dass Innovationen nicht nur in der Weiterbildung für Erwachsene nötig sind. Zur Basis-Bildung wie Mathematik (für das logische Denkvermögen) gewinnen auch die sog. Soft Skills, soziale Qualifikationen, immer mehr an Bedeutung.

Hier stehen Gesellschaft und Politik vor großen Aufgaben und es macht nicht immer den Eindruck, dass die Zusammenhänge von Lernen, Bildung und Arbeitswelten wirklich erkannt worden sind. Die Verschulung gerade von geisteswissenschaftlichen Studienfächern an Universitäten deuten sogar auf eine Rückentwicklung weg vom selbstgesteuertem Lernen.

Tipps und Anregungen für erfolgreiches lebenslanges Lernen

Einer der entscheidenden Faktoren für erfolgreiches, selbstbestimmtes und lebenslanges Lernen liegt in der eigenen, der intrinsischen Motivation. Man motiviert sich nicht aus dem Gedanken heraus, was man alles nicht weiß oder aus der Angst heraus, in einem Wettbewerb zu verlieren. Aber man kann sich aus dem Gedanken heraus motivieren, dass man Lernen als natürliche, lebensbegleitende Entwicklung ansieht. Eine Entwicklung, die einem täglich neue Chancen bietet. Verbunden mit dem Glück, in einer Gesellschaft zu leben, in dem besonders durch Digitalisierung und Internet der Zugang zu Weiterbildung immer besser und breiter wird.

Aus Fehlern lernen, ist die wahrscheinlich effektivste Art zu lernen. Der Umgang mit Fehlern kann entscheidend für den Lernfortschritt sein.

  • Jeder Mensch macht Fehler. Fehler zu machen bedeutet, sich in persönliche Grenzbereiche zu begeben und Erfahrungen zu sammeln.
  • Ein Fehler ist nicht automatisch eine Niederlage. Wenn man die Chance erhält, Fehler selbst erkennen und korrigieren zu können, ist das ein großer persönlicher Gewinn. Es erweitert nicht nur das eigene Wissen, es stärkt im Zweifel auch das eigene Selbstvertrauen.
  • Wenn man eine solche Fehlerkultur in Teams lebt, kann man sich gegenseitig stärken und alle profitieren davon. Hintergrund: Bedingt durch neue Arbeitswelten und neue, beispielsweise agile Arbeitsformen, nimmt die Bedeutung von selbständig arbeitenden Teams/Projektteams immer mehr zu.
  • Der Erfolg lebenslangen Lernens zeigt sich in erster Linie in der Fähigkeit, Gelerntes für sich gewinnbringend umzusetzen. Und Lernen ist immer zuerst ein persönlicher Gewinn.

https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunft-bildung/197495/lebenslanges-lernen?p=0

https://serwiss.bib.hs-hannover.de/frontdoor/deliver/index/docId/1217/file/Masterarbeit_FranziskaBraun.pdf