Perspektivwechsel: Gespräch mit Sebastian Schneider, Deloitte, über Förderung von Weiterbildung

Ende August waren wir zusammen mit den Teilnehmern des AWS re/Start Programms der Codingschule sowie ihrer Gründerin Güncem Campagna eingeladen, die Deloitte Smart Factory in Düsseldorf zu besuchen. Erst vor Kurzem begann eine Kooperation zwischen dem international aufgestellten Beratungsunternehmen und dem mittelständischen Weiterbildungsanbieter. 

Dabei kamen wir mit dem dafür verantwortlichen Senior Solution Manager bei Deloitte, Sebastian Schneider, ins Gespräch über das Zusammenspiel externer Weiterbildungsangebote und interner Trainee-Programme zum Thema Cloud Programming bzw. Cloud Native Development. 

Kurz vorweg: Es gibt mittlerweile so unendlich viele Manager-Bezeichnungen. Und auch diesen hatte ich vorher noch nicht gehört. In diesem Fall ist er jedoch a) logisch und b) wichtig, um Zusammenhänge von Weiterbildung und Talentförderung bei Deloitte zu verstehen, richtig?

Senior Solution Manager ist ein Jobtitel für den Software-Engineering-Pfad bei Deloitte.
»Cloud« umfasst einerseits Beratung, also reines Business Consulting und andererseits Software-Entwicklung. Und ich bin Teil dieser Entwicklungssparte.  

Unsere Mitarbeiter:innen gehören verschiedenen »Talent Groups« an, so nennen wir die organisationalen Teams bei uns. Als Teil der Talentgroup »Cloud Transformation« und »Systems Engineering« (CTSE) beraten wir die  Transformation des Business und übernehmen eben genauso auch das Software-Engineering. Das ist mit aktuell mehr als 250 Leuten eine der stärksten Units im deutschen Deloitte Consulting.

Sebastian Schneider, Senior Solution Manager bei Deloitte (Foto: N. Diedrich)

Ist ein Bereich dem anderen vorgeschaltet – etwa erst Beratung, dann Engineering?

Ja, genau so. Zunächst geht es darum, unseren Kunden zu verstehen. Was will er? Warum will er in die Cloud und mit welchem Teil seines Business? Warum will er evtl. innerhalb der Cloud wechseln? Aus diesen und weiteren Überlegungen heraus kommt man später automatisch zu den technischen Fragen. Das ist dann der Übergang zur Software-Entwicklung. Wir gestalten die Migration in die gewünschte Cloud (AWS, Azure oder Google GCP), programmieren Schnittstellen und beginnen damit, die Anwendungen des Kunden cloud-ready zu customizen – beispielsweise mit Python oder Terraform.

Warum ist Cloud-Computing für die Wirtschaft heute so essenziell?

Wenn man seine digitale Infrastruktur in die Cloud verlegt, bucht man eine ausgewählte Menge Storage und/oder CPU in der Cloud. Also keinen physischen Platz, sondern Cloud-Leistung. Die Ressourcen sind elastisch – wichtig etwa für E-Commerce Unternehmen. Im Weihnachtsgeschäft ab Oktober können die Leistungsspitzen schon mal um 600 Prozent ansteigen. Verrechnet wird diese Leistung nach dem Prinzip pay-as-use bzw. zahle nur, was du tatsächlich brauchst. Früher, mit eigenen Servern, musste man Rechnerleistungen vorhalten, um in Spitzenzeiten weiter performen zu können. 

Gibt es bei Deloitte eine übergreifende Strategie für die Kooperation mit Weiterbildungsanbietern? Die Codingschule ist ja in ihrer Branche noch ein relativ kleines Unternehmen. Wieso gerade die?

Um ehrlich zu sein, ging der  Zusammenarbeit mit der Codingschule keine große Strategie voraus. Das hat sich einfach ergeben. Eine Studentin für angewandte Informatik, die zuvor schon bei der Codingschule Trainerin war, hatte sich bei uns um einen Job als Werkstudentin beworben und wir nahmen sie an Bord. Einige Monate später kam eine Anfrage, ob sie eine Projektpause einlegen könne, um beim dortigen AWS re/Start Programm erneut als Trainerin arbeiten zu können. Das war nicht nur kein Problem, sondern hat uns auch angeregt, über weitere Kooperationsmöglichkeiten nachzudenken.

Also haben wir uns mit deren Geschäftsführern Güncem Campagna und Marc Bertam in 2--3 Video-Calls überlegt, wie Kooperationen zu beiderseitigem Nutzen aussehen können. Wir sind just in einer ersten Umsetzungsphase und probieren verschiedene Wege aus. Das fühlt sich ab und zu wie bei einem Start-up an – finde ich großartig. 

Unser Ansatz dabei: Wir suchen auf dem ausgedünnten Fachkräfte-Markt neue Mitarbeiter:innen über neue Wege. Daraus wollen wir strategische Überlegungen ableiten. Neue Wege bedeutet hier, einen praxisorientierten Übergang schaffen von Leuten mit externen Weiterbildungszertifikaten in ein mögliches Beschäftigungsverhältnis bei Deloitte. 

Natürlich kann man Kandidaten auch einfach ins »kalte Wasser« werfen. Etwas, das einem im Berufsleben ohnehin immer mal wieder passieren wird. Aber letztlich ist das in einer Situation des Kennenlernens und Integrierens in eine Unternehmenskultur nicht besonders effizient und schafft weder eine motivierende, noch vertrauensvolle Atmosphäre. Es geht um eine Art Pre-Qualifying über die Fachkompetenz hinaus. Etwas, das externe Weiterbildungsanbieter in der Form weniger leisten können. 

Wie sieht denn die Eingliederung von Talenten abseits des Modellversuchs mit der Codingschule aus?

Schon vorher haben wir ein Cloud Dive-in bei uns etabliert. Das ist ein Trainee-Programm, bei dem wir ausschließlich Trainer aus unseren Teams  einsetzen. Wir übernehmen auch die Auswahl der Kandidaten.

Dieses fünfmonatige Trainee-Programm mit ca. 20 Teilnehmern beginnt jeweils zum 01. April und 01. Oktober des Jahres. Es besteht aus anfänglich acht Wochen Bootcamp. Das ist richtig hardcore und sehr viel komprimierter als die Maßnahme bei der Codingschule. Denn im Bootcamp bei uns geht es nicht nur um AWS, sondern auch um Microsoft Azure und Google Cloud Platform, Python, Storytelling usw. 

Danach kommen die Teilnehmer zu uns in laufende Projekte bei Deloitte. Sie werden bestehenden Projektteams hinzugefügt und lernen direkt am Kunden. Diese Phase erstreckt sich auf sechs bis acht Wochen. 

Anschließend verbleiben die Trainees größtenteils in diesen Projekten, machen aber zusätzlich eine Advanced Zertifizierung. Damit spezialisieren sie sich auf dem Weg, den sie für sich wählen – beispielsweise zum AWS Solution Architect. Die restliche Trainee-Zeit können sie im Projektteam weiterarbeiten. Diese Option haben aus den zwei bisherigen Kursen jeweils 19 von 20 Teilnehmer wahrgenommen. 


Wir bezeichnen das Vorgehen als Soft Onboarding – als eine Einführung nicht nur in Theorie und Praxis, sondern auch in das Unternehmen Deloitte und seine Unternehmenskultur.

Werden unterschiedliche Wege wie das interne Trainee-Programm und die Kooperation mit der Codingschule isoliert voneinander verfolgt?

Nein, das wäre auch nicht in unserem Sinne. Wir machen keinen Ausschlusswettbewerb unter den verschiedenen Modellen, sondern versuchen auch hier Synergien zu nutzen. Ein Beispiel: aus dem laufenden, zweiten Trainee-Programm geben sechs Teilnehmer:innen aktuell Trainings bei der Codingschule. Dazu regen wir intern auch an. Kommt raus aus der Komfortzone und gebt Wissen weiter! 

Für uns zeigt sich da einerseits Commitment, andererseits aber auch, wie unsere Art der Vermittlung und des Onboardings Anerkennung bei den Teilnehmern findet.

Nach den Aussagen einiger Teilnehmer hier und heute ist das Wissen um Programmieren in der Cloud kein Bestandteil eines universitären Studiengangs. Das heißt, alles, was sie hier bzw. bei Weiterbildungsanbietern wie der Codingschule lernen, müssen sie sich nebenbei draufschaffen. Klingt nach einem enormen Defizit zwischen Studium und Praxis. 

Welche Perspektiven ergeben sich daraus für Deloitte? Muss man als Unternehmen heute diese Lücke selbst auffangen und füllen?

Ja, das ist unsere Herausforderung. Allerdings gibt es durchaus Lehrstühle, die sich deutlich weiterentwickeln und mit denen wir deswegen auch sehr gerne zusammenarbeiten. Dazu gehört der Lehrstuhl für System Engineering der TU Berlin aber auch der Frauenstudiengang Informatik und Wirtschaft. Als offizieller Praxis-Partner bieten wir ein eigenes Cloud-Praktikum an, geben Gastvorlesungen bspw. zu MongoDB oder übernehmen das Mentoring.

Auf der anderen Seite ist Cloud Development  an den Universitäten und Hochschulen nach wie vor gar nicht im Lehrplan vorgesehen. Und – machen wir uns nichts vor – da gibt es natürlich auch immer die Frage, wer auf wen zukommt. Dort, wo etwa Cloud Software Engineering bereits zum Lehrplan gehört oder dafür geplant ist, bieten wir uns als Praxis-Partner an.

Das schließt nicht nur Universitäten, sondern auch Weiterbildungsanbieter ein. Dort, wo es das noch nicht gibt, wie bei der Codingschule, die uns ansonsten von ihrer Qualität und ihrer Philosophie überzeugt hat, wollen wir auch einen Schritt weiter gehen und in die Zusammenarbeit investieren.

Darüber hinaus erarbeiten wir uns natürlich auch direkte Schnittstellen zu Talenten – besonders im Bereich IT & Software. Das ist aber wiederum auch Teil einer größeren Strategie. Viele Menschen, viele Unternehmen verbinden Deloitte immer noch ausschließlich mit Management Beratung, Audit oder Wirtschaftsprüfung. Dabei wollen wir uns auch als Tech-Anbieter stärker positionieren.

Kann man schon Effekte dahingehend wahrnehmen, dass das Engagement für den Tech-Nachwuchs bei dieser Positionierung hilft?

So etwas ist natürlich immer schwer messbar. Aber wir registrieren deutlich mehr Bewerber:innen für den Tech-Bereich als früher. Dabei verlassen wir uns auch nicht nur auf Kooperationen mit Bildungseinrichtungen. Viele Mitarbeiter spenden weit mehr als ihr jährliches CSR-Zeitkontingent (Corporate Social Responsibility) auch, um z. B. Kinder und Schüler näher an IT-Themen zu bringen. Wir veranstalten regelmäßig Hackathons oder nehmen mit Erfolg an großen von internationalen Konzernen teil. Dort bekommen wir auch direktes Feedback von dem Bild, das Deloitte nach außen vermittelt. Und es scheint sich herumzusprechen, dass man bei uns gute Möglichkeiten hat, gefördert wird, coole Sachen entwickelt usw. 

Die Vorteile, die sich aus unseren Ideen und Kooperationen im Weiterbildungsbereich ergeben, wirken auch bis in unser Kundengeschäft hinein. Es gibt Unternehmen, die finden es super attraktiv, wenn man ihnen sagen kann: »Schaut her, wir suchen nicht einfach nur nach jungen, motivierten Talenten, wir binden sie auch überlegt direkt für euch, für eure Projekte ein.«

Vielen Dank für die Einladung und das Gespräch!

Weiterführende Links:

Die Codingschule als Weiterbildungsanbieter

Interview mit Güncem Campagna, CEO Codingschule